"... blamieren mag ich mich nicht" - Vortrag über Annette von Droste Hülshoff
Dienstag, 12.11.2024, 19.00 Uhr, St.-Petri-Gemeindehaus
Referent: Hans-Georg Haarmann
"… blamieren mag ich mich nicht, nicht vor Andern und noch weniger vor mir selber."
Annette von Droste Hülshoff verfügt offenkundig über ein Selbstbewusstsein und ein Selbstwertgefühl, das sie hartnäckig verteidigt. Keine einfache Aufgabe für eine Frau im beginnenden 19. Jahrhundert, in dem fast alles von Grund auf verändert wird. Die Dichterin ist weit davon entfernt, am gesellschaftlichen Katzentisch Platz zu nehmen. Kompromisse werden nicht gemacht, denn „in hundert Jahren möchte ich berühmt sein“.
Marlies Meyer
Annette von Droste Hülshoff
Im Grase
Süße Ruh', süßer Taumel im Gras,
Von des Krautes Arome umhaucht,
Tiefe Flut, tief tief trunkne Flut,
Wenn die Wolk' am Azure verraucht,
Wenn aufs müde, schwimmende Haupt
Süßes Lachen gaukelt herab,
Liebe Stimme säuselt und träuft
Wie die Lindenblüt' auf ein Grab.
Wenn im Busen die Toten dann,
Jede Leiche sich streckt und regt,
Leise, leise den Odem zieht,
Die geschloßne Wimper bewegt,
Tote Lieb', tote Lust, tote Zeit,
All die Schätze, im Schutt verwühlt,
Sich berühren mit schüchternem Klang
Gleich den Glöckchen, vom Winde umspielt.
Stunden, flüchtger ihr als der Kuß
Eines Strahls auf den trauernden See,
Als des ziehenden Vogels Lied,
Das mir nieder perlt aus der Höh,
Als des schillernden Käfers Blitz,
Wenn den Sonnenpfad er durcheilt,
Als der heiße Druck einer Hand,
Die zum letzten Male verweilt.
Dennoch, Himmel, immer mir nur
Dieses Eine mir: für das Lied
Jedes freien Vogels im Blau
Eine Seele, die mit ihm zieht,
Nur für jeden kärglichen Strahl
Meinen farbig schillernden Saum,
Jeder warmen Hand meinen Druck,
Und für jedes Glück meinen Traum.
Sarah Kirsch
Der Droste würde ich gern Wasser reichen
in alte Spiegel mit ihr sehen, Vögel
nennen, wir richten unsre Brillen
auf Felde und Holunderbüsche, gehen
glucksend übers Moor, der Kiebitz balzt
Ach, würde ich sagen, Ihr Lewin –
schnaubt nicht schon ein Pferd?
Die Locke etwas leichter – und wir laufen
den Kiesweg, ich die Spätgeborne
hätte mit Skandalen aufgewartet – am Spinett
das kostbar in der Halle steht
spielen wir vierhändig Reiterlieder oder
das Verbotene von Villon
Der Mond geht auf – wir sind allein
Der Gärtner zeigt uns Angelwerfen
bis Lewin in seiner Kutsche ankommt
der schenkt uns Zeitungsfahnen, Schnäpse
gießen wir in unsre Kehlen, lesen
Beide lieben wir den Kühnen, seine Augen
sind wie grüne Schattenteiche, wir verstehen
uns jetzt gründlich auf das Handwerk FISCHEN
Ein Rückblick auf vergangene Veranstaltungen
Portrait "Erich Maria Remarque" 1898-1970
Immer noch weltberühmt durch seine Romane wie „Im Westen nichts Neues“ vereint der Schriftsteller doch durch sein von Kriegen bewegtes Leben viele Schichten menschlicher Fragen: „wer bin ich?“ oder „was macht Humanität aus?“
In unserer Veranstaltung am 5. März 2024 haben wir versucht, Spuren seines Lebens aufzuzeichnen und einzuordnen.
Marlies Meyer
Hermann von der Hardt
Hermann von der Hardt (1660-1746): Orientalist und Bibelinterpret aus Melle
22. Oktober 2024, Referent: Pastor i.R. Peter Hennig/Schöningen bei Helmstedt
„Der Sohn eines Münzmeisters aus Melle verbrachte die längste Zeit seines Lebens als Professor für orientalische Sprachen in Helmstedt. Durch die frühe Aufklärung geprägt, war er ein solider Kenner der biblischen und jüdischen Überlieferung, ein Vielschreiber und fleißiger Bibliothekar und erfolgreicher Hochschullehrer. Auseinandersetzungen, in denen er zuweilen ein „bizarres“ Verhalten zeigte, nahm er auf. In seiner Bibelinterpretation arbeitet er historisch-kritisch, wollte aber die Frömmigkeit fördern – die Brücke zwischen Text und Leser sind für ihn die „Affekte“; ihre Analyse zeigt die „alte“ Wahrheit im „neuen“ Licht. Hardt nimmt Erkenntnisse der modernen Bibelwissenschaft vorweg. In „seinem“ Kloster St. Marienberg, dessen Propst er nebenamtlich war, ist er begraben.“ (Peter Hennig)
Diese Veranstaltung hat in Kooperation mit dem Petri-Forum im Rahmen des Meller Kulturherbstes stattgefunden.
Marlies Meyer
Leseempfehlungen für ein kurzweiliges, anregendes Abtauchen in unbekannte Lebenswelten
Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne
Saša Stanišić, Verlag: Luchterhand, ISBN: 978-3-630-87768-6
Man kann sich ein ganz anderes Leben, als das, was man führt, erfinden und erträumen. Von dieser Sehnsucht - einer großen Sehnsucht - erzählt Saša Stanišić in seinem neuen Prosaband. Wer „Herkunft“ von ihm liebt, wird auch an diesem Band große Freude haben.
Altern: Alle wollen alt werden, niemand will es sein. Ist das nicht absurd?
Elke Heidenreich, Verlag: Hanser, Berlin, ISBN: 978-3-446-27964-3
Elke Heidenreich ist über 80 Jahre, und sie liebt ihr Alter. In ihrem neuen Buch "Altern" nimmt sie uns die Angst vor dem Alter und verrät: Die beste Zeit kommt nach der Rente. Und wer sich noch nicht alt fühlt oder noch nicht ist, kann über die vielen guten Gedanken nachdenken und sich vielleicht neu ausrichten für die kommenden Jahre.
Ellbogen
Fatma Aydemir, Carl Hanser Verlag, München, ISBN: 978-3-446-25595-1
Sollten Sie sich bereits von „Dschinns“, dem 2. Roman der Autorin, haben ansprechen lassen, so könnte Ihnen auch dieser zusagen, trotz mancher stereotyper Darstellungen.
In Fatma Aydemirs Debütroman um die Selbstfindung einer jungen Deutschtürkin in Berlin klare Ansagen und ebensolche Sätze. Dieser schnörkellose Ton bringt der Leser*in die Protagonistin nahe, die offenbar nach einem Mord nach Istanbul flieht, und zwar in ihrem ganzen reuelosen Zorn. Der Text nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er die misogyne türkischen Gesellschaft und die deutsche Scheinheiligkeit zur Sprache bringt. (nach: Süddeutsche Zeitung, 04.02.2017)
Zuletzt, aber nicht das Letzte: Antichristie
Mithu Sanyal, Verlag: Hanser, ISBN: 978-3-446-28076-2
NDR-Kultur: „Sind Reisen durch die Zeit möglich? In der Literatur jedenfalls geht es: Mithu Sanyal macht es in ihrem neuesten Roman, der für den Deutschen Buchpreis 2024 nominiert ist, vor.“
Marlies Meyer